° Pforzheim Hauptbahnhof bis Volzemer Stein
° 25 km – 694 Hm ↑ - 274 Hm ↓
Am Dienstagmorgen ging es los. Der Wetterbericht stimmte mich positiv. Es sollte zwar kalt werden, aber bis auf ein klein wenig Regen am Nachmittag des zweiten Tages, sollte es trocken bleiben und zwischendurch sogar sonnig sein. Mit der Deutschen Bahn fuhr ich bis nach Pforzheim an den Hauptbahnhof, an dem die Tour inoffiziell beginnt. In Pforzheim angekommen, fand ich sofort das Symbol des Westweges. Die rote Raute sollte mir nun vier Tage lang den Weg weisen und meine zuverlässige Begleitung sein.
Hochmotiviert ging es los. Auf der ersten Treppe in der Innenstadt legte es mich aber zunächst erstmal auf den Hintern, weil ich mit dem Schuh an einer Stufe hängen blieb. „Das fängt ja gut an“, dachte ich mir. Tatsächlich sollte das mein einziges Missgeschick auf der kompletten Tour bleiben. Ab diesem Zeitpunkt war mein inneres Konzentrations-Programm online. So ein kleiner Schuss vor den Bug hat manchmal auch etwas Positives. Beim Bäcker kaufte ich mir noch zwei Croissants und einen Milchkaffee im bösen Wegwerfbecher. Danach versuchte ich schnell aus der Stadt zu kommen. Am Kupferhammer, dem offiziellen Tourbeginn, traf ich den ersten Mitwanderer und wir wechselten ein paar motivierende Worte. Er hatte vor den kompletten Weg am Stück zu gehen. “Respekt”, dachte ich und da war er auch schon verschwunden. Wir trafen uns nie wieder.
Nach dem Kupferhammer ging es endlich in den Wald hoch. Es roch nach modrigem Holz und sofort stellte sich Vorfreude auf die vor mir liegenden Tage ein. Ich hatte ein unheimlich hohes Bedürfnis, einfach mal alle Informationskanäle abzuschalten und nur Draußen unterwegs zu sein. Die ersten Kilometer fand ich jedoch wenig idyllisch, da der Weg in der Nähe einer vielbefahrenen Straße und durch einige angrenzende Stadtteile von Pforzheim verlief. Noch fehlte das Gefühl, richtig in der Natur zu sein. Erst in einem Waldstück Richtung Herrenstriet wurde es dann ruhiger. Es waren plötzlich nur noch Vögel zu hören. Endlich! Jetzt war ich auf dem Weg angekommen. Kurze Zeit später teilte sich der Weg in einen neueren und einen älteren Wegverlauf. Ich überquerte die Enz und wählte den älteren Routenabschnitt, der sich „Höhenvariante“ nennt. Es ging ein kurzes Stück steil nach oben durch Birkenfeld und weiter durch einen Wald oberhalb des Enztals. Die beiden geteilten Routen trafen sich wieder nach Neuenbürg, von wo es nicht mehr weit zur Schwaner Warte war. Dort legte ich nach ca. 16 km eine längere Pause ein. Eine Holzliege rief mir ein „Willkommen” entgegen und vor mir eröffnete sich ein schöner Blick über die sanften Hügel des nördlichen Schwarzwaldes. Hier oben war es schön sonnig, aber ein eisiger Wind blies über die Anhöhe. Eingepackt in Gore-Tex Jacke und Mütze, massierte ich meine schmerzenden Schultern. Mein Tragessystem braucht definitiv noch eine Feinjustierung, was ich noch vor dem Weitergehen erledigte. Nach einer Handvoll Nüssen und einem Müsliriegel, übergab ich die Liege an einen anderen Westwegwanderer, der gerade eintraf. Er wolle nur zwei Tage unterwegs sein, erzählte er. Er habe aber noch etwas Bedenken wegen der Kälte. Möglicherweise sei sein Schlafsack nicht warm genug. Wir verabschiedeten uns und sollten uns nachmittags noch einmal treffen.
Unweit der Schwaner Warte, hatte ich noch vor meine Wasservorräte an einem Brunnen aufzufüllen. Einem Internetblog entnahm ich, dass dies die einzige Möglichkeit auf diesem Abschnitt wäre. Mit dabei hatte ich zwei Flaschen, mit einem Fassungsvermögen von 2,5 Litern. Mein Plan war, mit mindestens zwei Litern nachmittags ins Camp zu kommen. Das würde ausreichen um Abendessen zu kochen, zweimal Kaffee zu machen, zweimal Zähne zu putzen, für eine Minikatzenwäsche, für das Frühstücksmüsli und um den Rest zu trinken. Mein Plan scheiterte zunächst leider am Brunnen, der kein Wasser ausspuckte und auch nach meiner verbal geäußerten Fassungslosigkeit trocken blieb. Mit einem weiteren Wanderer unterhielt ich mich kurz über das Wasserthema. Dieser bot mir abends beim Vorbeigehen am Camp sogar etwas aus seinen Flaschen an. Dankend lehnte ich ab, da mir eine nette Frau am Ende von Dennach meine beiden Flaschen auffüllte, sodass ich sogar mit 2,5 Liter an meinem ersten Übernachtungsort ankam. Was für ein Luxus und an dieser Stelle nochmal ein großes Dankeschön an die Unbekannte!
Die Schutzhütte am Dreimarkstein ließ ich rechts liegen, da sie mir zu nah an einer Straße lag und einige Tagestouristen ein Picknick veranstalteten. Der nächste Unterstand im Stil einer offenen Finn-Hütte, lag ca. einen Kilometer weiter mitten im Wald, kurz vor dem Volzemer Stein. Eine schöne Lichtung und es war niemand da. Ich war alleine. Schön! Das sollte mein erstes Nachtlager werden.
Als ich den Rucksack ablegte und die Schuhe und Socken auszog, hatte ich das Gefühl zu schweben. Mir kam sofort das Bild der ersten Mondlandung in den Sinn und dachte dabei an die hüpfenden Astronauten auf der Mondoberfläche. So ähnlich fühlte ich mich. Lustig. Nachdem ich mich mit dem Ort ein wenig eingegroovt hatte, suchte ich eine geeignete Aufhängung für meine Hängematte und richtete mich ein. Wäscheleine spannen, nasse Klamotten aufhängen, in die Schlafklamotten rein und Hose drüber. Zeit für einen Kaffee. Dazu gab es einen Müsliriegel und ein plattgedrücktes Croissant vom Morgen. Wundervoll, dieser Moment der Entspannung und Stille mitten im Wald. Das Kaffeekochen am Nachmittag wurde übrigens zu einem schönen Ritual, auf das ich mich unterwegs immer freute. Es war so der Übergang von der Anstrengung der Wanderung, hin zur Entspannung und dem Ausklang des Tages.
Zwischendurch gab es ein paar nette Gespräche mit Wanderern die ich bereits kannte. Der junge Mann von der Schwaner Warte hatte sich entschieden seine Tour am ersten Tag abzubrechen, da es ihm doch zu kalt war. Der andere hatte vor noch einige Kilometer weiter zu gehen, um sich nach der nächsten Ortschaft einen Schlafplatz zu suchen. Ein älteres Rentnerehepaar aus der Pfalz stoppte interessiert und begann von eigenen Reisen zu erzählen. Wir unterhielten uns eine halbe Stunde lang, bevor beide wieder heimwärts zogen. Für mich war es Zeit Abendessen zu kochen. Irgendein Nudelgericht aus der Tüte, dass es nicht verdiente an dieser Stelle näher beschrieben zu werden. Zum Nachtisch (wie jeden Abend) gab es eine Tafel Schokolade (geniales Gewicht-zu-Energie-Verhältnis). Gegen 21.00 Uhr packte ich die Isomatte in die Hängematte und legte mich, nochmal aufgewärmt mit einem heißen Tee, in den Schlafsack.
Rückblickend lief der erste Tag ziemlich gut. Trotz der knapp 20 kg auf dem Rücken kam ich gut voran. Mein Knie machte keine Probleme, wovor ich im Vorfeld ein wenig Bedenken hatte, da mich vor einigen Monaten noch eine Entzündung darin plagte. Landschaftlich war es zunächst ein wenig urban, aber da muss man zum Start einfach durch. Es war jedoch interessant zu beobachten, wie sich Kilometer für Kilometer die Landschaft veränderte. In den nächsten Tagen würde ich mich immer weiter in die Höhenlagen des Schwarzwaldes vorarbeiten und diese Veränderung noch intensiver erleben.
Im Grunde ist das Begehen des Westweges eine schöne „metaphorische Heldenreise“, mit der man sehr gut erlebnispädgogisch arbeiten kann. Man startet in der Urbanität in Pforzheim und arbeitet sich „Schritt für Schritt“ in und durch die wilde Einsamkeit des Schwarzwaldes. Dabei setzt man sich möglicherweise mit den eigenen wilden und einsamen Anteilen, die jeder von uns in sich trägt, auseinander. Nachdem man sich durch die Höhen und Täler, durch die hellen Tage und dunklen Nächte gearbeitet hat, geht es das Gebirge hinab und raus aus der Einsamkeit, um in Basel wieder vom gesellschaftlichen Leben empfangen zu werden. Ein wenig wie ein Initationsritus. Aber ich schweife in berufliche Gedanken ab.
Zurück zur Hängematte. Nach einigen Seiten einer Biographie von Henry David Thoreau, schloss ich meine Augen, um nach fünf Minuten von zwei leuchtenden Autoscheinwerfern angegafft zu werden. Ein Jäger stieg aus und lief grußlos mit einem Gewehr unter dem Arm an mir vorbei. Das war es dann mit dem Einschlafen. Ich ging davon aus, dass mich irgendwann ein Schuss aus der eben erwähnten Waffe aus der Hängematte springen lassen würde. Glücklicherweise hatte der Jäger wohl wenig Geduld, tauchte nach 30 Minuten mit energischen Schritten wieder auf und fuhr davon. Endlich Schlafen! Gute Nacht!
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