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Sven Scheffel

Westweg 2020 - Etappe 02

° Volzemer Stein bis Schutzhütte am Draberg

° 22,3 km – 413 Hm ↑ - 183 Hm ↓


4:30 Uhr. Durch einen schreckenden Rehbock in der Nähe wache ich auf. Das Bellen hört sich schaurig an und kommt immer näher. Sollte ich gleich nach der ersten Nacht mein erstes Wildtier sehen? Meine Kamera verstaute ich abends leider im Rucksack und es ist so kalt, dass ich den Schlafsack besser geschlossen lasse und darauf verzichte sie auszupacken. Aus der Hängematte heraus beobachte ich die Lichtung. Nach ca. 15 Minuten ist wieder Ruhe. Leider kam kein Reh in Sichtweite, schade. Dafür starteten die Waldvögel genau um 4:50 Uhr ihr Konzert in der Morgendämmerung. Eine sehr schöne und friedliche Stimmung! Ich schlafe nochmal ein und wache um 6:00 Uhr auf.

Erster Check: Meine Beine fühlen sich entspannt an, das Knie ist schmerzfrei, meine Schultern haben einen Druckschmerz. Das Aufsetzen des Rucksacks wird nachher ziemlich spannend werden. Aber immerhin machte die Hirschtalg-Salbe von DM einen guten Job! Die kann ich übrigens nur wärmstens weiterempfehlen!

Die erste Nacht war ziemlich kalt. Ich vermute, es hatte so ca. vier Grad Celsius. Nachts holte ich mir zusätzlich die Daunenjacke als Decke in den Schlafsack, mit der es dann mollig warm wurde. Nach dem Aufstehen schnell Hose, Jacke und Schuhe anziehen und den Kocher anwerfen, um Kaffee zu kochen. Während der Kocher gleichmäßig vor sich hin rauscht, wärme ich mir die Hände über dem Topf und werde langsam wach. Der warme Geruch des verbrennenden Gases gemischt mit dem Kaffeeduft, erzeugt eine wohltuende Romantik. Verschiedene Gedankenfetzen schießen mit durch den Kopf. Die Küche meiner Großeltern, in der es früher ähnlich roch. Schullandheimaufenthalte während der Schulzeit und meine Weiterbildung zum Erlebnispädagogen, in der wir mit dem ersten auf dem Gas gekochten Kaffee am Morgen, versuchten die Kälte der Nacht zu vertreiben.


Das war meine erste Nacht in einer Hängematte und ich muss sagen, es war wirklich genial darin zu schlafen! Kein Vergleich zu den Nächten auf der Isomatte im Zelt oder auf dem Waldboden. Man wacht absolut entspannt auf. Im Vorfeld las ich mich einige Zeit durch verschiedene Bushcraftgruppen in den Sozialen Medien, um dann dieses Modell in einem kleinen Shop zu bestellen. Wirklich gut investiertes Geld! Mal schauen ob es mir in den kommenden Nächten wieder gelingt in der Luft zu schlafen oder ob ich mit dem Boden vorlieb nehmen muss.


Heute will ich früh starten. Ab 14 Uhr ist leichter Regen angesagt. Den größten Teil der Strecke möchte ich hinter mir haben, bevor sich die Himmelsschleusen öffnen. Zuerst aber frühstücken. Mein knurrender Magen meldete sich schon vor einigen Stunden das erste Mal. Auf dem Speiseplan steht Tassenpudding + Müsli + Nüsse + Cranberries. Lecker, viel Energie und warm! Rein damit! Danach schnell das Lager abbauen, Rucksack packen, kurz das Gebüsch aufsuchen und weiter ging es.

Nach 100 Metern treffe ich auf den Volzemer Stein. Ein historischer Steinbruch, der heute ein Naturdenkmal ist. Ich beginne einige Fotos zu schießen und komme in Fotografierlaune, bis mir der Regen am Nachmittag wieder einfiel und ich mich schnell weiter Richtung Dobel aufmachte. Dort müssen dringend meine Wasservorräte aufgestockt werden. Schon seltsam, wie selbstverständlich es Zuhause ist an Wasser zu gelangen und wie verschwenderisch ich dort manchmal damit umgehe. Hier draußen bedarf es einer guten Organisation und jeder Milliliter erscheint plötzlich wertvoll. Auf den ersten Schritten schmerzen die Schultern. Nach ein paar Metern bin ich aber entspannt und es läuft sich sehr locker. Die 25 km vom Vortag spüre ich kaum. In Dobel spreche ich eine Weile mit einem Gastwirt, nachdem ich mich auf einer Bank vor seinem Gasthaus niedergelassen habe und genüsslich ein Croissant esse. Ok, es waren zwei! Der Mann hat einen hohen Redebedarf und ich finde es interessant, dass so ein großer Rucksack scheinbar die Hürde herabsetzt, mit fremden Menschen in Kontakt zu kommen.



Nach Dobel verändert sich dann das Erscheinungsbild der Landschaft zunehmend. Man kommt höher hinauf und optisch wird es rauer. Die Obstwiesen weichen den Fichten- und Mischwäldern. Weiter oben werde ich von einer Grindelandschaft und später vom Hohlohmoor empfangen. So langsam verändert sich auch das Wetter und der Kaltenbronn macht seinem Namen alle Ehre. Es beginnt zu winden und der Regen setzt ein. Zwei Stunden vor der Ankündigung im Wetterbericht. Es regnet irgendwann so stark, dass ich zur Gore-Tex Jacke auch die Regenhose brauche. Das meinte der Wetterbericht also mit leichtem Regen, alles klar! Über den Kaltenbronn wabert Nebel. Stundenlang treffe ich keinen Menschen. Eine unwirkliche Stimmung und der urbane Teil vom Westweg, vom dem ich gestern noch gesprochen habe, ist gedanklich weit entfernt. Mir gefällt das raue Klima, auch wenn ich durch die Kondensfeuchtigkeit von Innen so langsam ziemlich durchgefroren bin. In der Schutzhütte am Hohlohturm mache ich kurz Pause. Die nächste Hütte die komplett verdreckt ist. Ich frage mich, was die Menschen nur denken, die ihren Müll nicht mitnehmen können und einfach liegen lassen?! Meine Übernachtungshütte gestern räumte ich auch erst einmal auf und entsorgte den Müll kurz vor Dobel in einer Tonne. Bevor ich auskühle, nehme ich die letzten drei Kilometer in Angriff. Es regnet unaufhörlich. Für heute habe ich keine Lust mehr, also Augen zu und durch. Wobei „alle Reißverschlüsse zu und durch“ besser passen würde.



Meine nächste Schutzhütte erreichte ich am Nachmittag. Sie lag unterhalb des Draberges und bot einen tollen Blick auf das Murgtal. Die Hütte liegt ein wenig exponiert und es windete stark. Eine Seite war komplett offen, weshalb ich für die Nacht unbedingt einen Windschutz anbringen musste. Aktuell fühlt es sich so an, als würde die zweite Nacht noch kälter werden. Der Regen wurde zwischendurch zwar etwas schwächer, sollte aber mit kurzen Pausen bis in die Nacht andauern. Ich musste in dieser Situation an die großen Vier des Survivals denken: Schutz, Wärme, Wasser, Nahrung. Meine “Schutz-Hütte” hatte ich erreicht. Also schnell in trockene Klamotten rein, heißen Kaffee machen und dann erstmal im Schlafsack aufwärmen. Nach einer Stunde Pause begann ich mein Equipment zu sortieren, meine nassen Klamotten aufzuhängen und spannte die Hängematte. Weitere 30 Minuten später blickte ich in sechs enttäuschte Augen. Drei weitere Westwegwanderer peilten die Hütte an, sahen meine Hängematte und standen wie angewurzelt und ziemlich durchnässt davor. Die drei wollten in ihren Zelten neben der Hütte schlafen und diese zum Kochen und aufwärmen nutzen. Das war natürlich kein Problem. Ich machte Platz und wir verbrachten den restlichen Abend als eingeschworene Gemeinschaft zusammen, trotzten dem Wetter und unterhielten uns. Am Abend gab es einen kurzen Sonnenuntergang über dem Murgtal, bevor sich jeder in seinen Schlafsack verzog.



Die zweite Nacht hatte es in sich. Es war noch deutlich kälter als die Nacht zuvor, was in erster Linie dem Wind geschuldet war. Gut das ich zuvor die Plane als Shelter über die Hängematte spannte. Obwohl ich ziemlich platt war, fühlte ich mich körperlich gut. Die vergangenen zwei Monate während der Corona-Krise machte ich extrem wenig Sport und vor der Tour war mir nicht ganz klar, wo ich konditionell genau stand. Als ich am zweiten Abend jedoch im Schlafsack lag, war ich ganz zuversichtlich, dass auch die nächsten Tage gut laufen werden. Die etwas verspannten Schultern bekomme ich sicher noch in den Griff. Nachdem ich die Schlafsackkapuze eng zugezogen hatte und noch einige Minuten dem Wind lauschte, fiel ich bald in einen tiefen Schlaf.



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