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  • Sven Scheffel

Westweg 2020 - Etappe 04

° Schwarzenbachtalsperre bis zum Ruhestein

° 27,7 km - 958 Hm ↑ - 735 Hm ↓


Am Morgen wache ich gegen 6.30 Uhr auf. Der Wind aus der Nacht hatte sich gelegt und es kündigte sich ein sonniger Tag an. „Mein letzter Wandertag“, dachte ich. Die vergangenen Tage sind wirklich schnell vorbei gegangen und irgendwie habe ich das Gefühl, meine innere zeitliche Struktur löst sich ein wenig auf. Die Erlebnisse verschmolzen zu einem großen Ganzen. Heute, gestern, vorgestern. Alles fühlt sich nahtlos verbunden an.

In der Hängematte und im Schlafsack ist es gemütlich und beim Ausatmen bildet sich Kondensfeuchtigkeit in der Luft. Es ist kalt und ich zögere das Aufstehen hinaus. Kurze Zeit später verbreitet der vor sich hin rauschende Primus-Kocher seinen wohligen Geruch und wie schon so oft auf der Tour, wärme ich mir einige Minuten die Hände darüber auf. Ich denke an ein Thema aus meiner Erlebnispädagogikweiterbildung. Dort gab es einen Block, der nannte sich „Halt in wilden Zeiten“. Ich stellte fest, dass so kleine Rituale unterwegs auch „Halt“ geben. Das Händewärmen über dem Kocher oder der Kaffee am Nachmittag. Aber auch das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten und in das eigene Wissen, haben etwas Halt gebendes.



Nach dem Frühstück packe ich und breche auf. Heute steht eine lange Etappe an. Meine Frau Antje wollte mich am Nachmittag am Seibelseckle auflesen. Da es unterwegs gut lief, verlängerte ich die Tour spontan bis zum Ruhestein. Meine Motivation war, die 80 km voll zu machen. Auf einem Waldweg, der sich in einem moderaten Anstieg vom See entfernte, lief ich Richtung Badener Höhe. Der Wald roch frühmorgens noch sehr intensiv nach feuchtem Holz. Die nächsten Stunden hatte ich den Wald für mich alleine. Erst kurz vor Unterstmatt traf ich den ersten Menschen. Unterhalb des Seekopfes ging es dann einen wilden steilen Pfad hinauf. Bäume lagen im Wald übereinander und ich fotografierte einen toten Baum am Wegesrand, der mich an einen verzweifelt schreiender Menschen erinnerte, der die Arme panisch in die Luft riss. Eigentlich Stoff, um eine schöne Geschichte zu dichten. Etwas weiter oben konnte ich nochmal einen Blick auf den Stausee werfen, bevor es weiter durch Windbruch und zersägte Bäume ging. Der Weg vom Seekopf zur Badener Höhe war gesäumt von Birken, kleinen Fichten und Latschenkiefern. Dazwischen tote Baumgerippe, die über viele Jahre von Sonne, Wind und Regen bearbeitet wurden und silbern in der Morgensonne glänzten. Sie ragten wie Urzeit-Fossilien aus den Büschen und erinnerten mich daran, wie vergänglich doch alles ist. Zu hören waren nur Insekten und das sanfte Rauschen des Windes in den Bäumen. Eine schöne Stimmung!



Es ging vorbei am Bussemer Gedenkstein. Phillip Bussemer und Julius Kaufmann waren die beiden Begründer des Höhenwegs. Ein kurzes „Salut“ und schon bald kam der Friedrichturm auf der Badener Höhe in Sicht. Auf der anderen Seite ging es hinab zur Unterstmatt und anschließend wieder bergauf zum Hochkopf. Das erste Mal öffnete sich der Blick auf die nördliche Rheinebene und man konnte auch rüber zur Badischen Höhe blicken, die mittlerweile ganz schön weit entfernt war, stellte ich fest. Den Hochkopf mag ich sehr. Es sieht dort landschaftlich sehr exotisch aus und es begegnen einem kaum Menschen. So überlaufen wie die Hornisgrinde ist, so einsam und idyllisch liegt sein Nachbar nebenan. Vom Hochkopfgipfel sehe ich zur Hornisgrinde hinüber und schieße ein paar Fotos. Terrain das ich ziemlich gut kenne und schon x-Mal durchwanderte. Es war wieder windig und der Himmel zog zu. Trotzdem machte ich eine kurze Pause und tippte meinem Vater eine WhatsApp. Danach ging es hinab zur „Großen Tanne“ und weiter zur Hornisgrinde rauf. Oben war es ungewöhnlich menschenleer. Klar, aktuell fahren keine Reiseunternehmen, von denen die Menschen zum Mummelsee gekarrt werden. Einige Momente genieße ich den Blick über die Rheinebene bis zu den Vogesen in Frankreich. Ein Blick auf die Uhr aber sagte mir, ich sollte mich ranhalten. Bis zum Ruhestein waren es noch etliche Kilometer. Über den Felsenweg wanderte ich runter zum Mummelsee und dann rüber zum Seibelseckle. Dort spürte ich zum ersten Mal meine Füße, die in den Schuhen langsam müde wurden und schmerzten. Am Seibelseckleparkplatz schaute ich auf den Skihang am Schwarzkopf und dachte: „Na, zum Glück verläuft der restliche Weg die Höhenlinie entlang und nicht da hoch. Das sieht ja ziemlich steil aus.“ Nachdem ich dann auch tatsächlich ein Stück der Höhenlinie folgte, bog der Weg plötzlich auf einen kleinen Pfad ab, der direkt frontal den Skihang hinauf führte. Hier rief ich laut: „Westweg du Arschloch!“. In meiner Spontaneität glaubte ich, der Weg zum Ruhestein wäre nur noch ein Spaziergang und ich hätte keine Höhenmeter mehr zu machen. Hätte ich nur mal die Karte besser studiert. Irgendwo zwischen Schwarzkopf und Altsteigerskopf gab es dann plötzlich eine Sperrung der Nationalparkverwaltung. Diese drohte mit Todesgefahr. Ich stand fünf Minuten vor der Absperrung und dachte darüber nach was ich tun sollte. Es ärgerte mich einerseits, dass ich mich Zuhause nicht nach Absperrungen erkundigte, aber auch die Parkverwaltung hätte am Seibelseckle einen Hinweis aufstellen können, dann wäre ich direkt einen alternativen Weg gelaufen. Mit den vielen Höhenmetern und Kilometern in den Beinen, möchte ich nur ungern umkehren. In meinem Job als Erlebnispädagoge hat Sicherheit einen wichtigen Stellenwert und oberste Priorität. Trotzdem entschied ich mich erstmal weiterzugehen, um mir diese potentielle Gefahr anzuschauen und eine eigene Einschätzung der Lage vorzunehmen. Sollte eine wirkliche Gefahr für mich bestehen, werde ich kein Risiko eingehen und definitiv umkehren. Sollte ich die Situation durch meine Erfahrung anders einschätzen, würde ich jedoch weitergehen, um Zeit, Kilometer und letztendlich auch Energie zu sparen. Unterwegs gab es dann eine Stelle, an der mehrere Bäume umgekippt waren und übereinander lagen. Drumherum gab es schon einige Trampelpfade. Ich nahm einen der Trampelpfade und gelangte so auf die andere Seite, von der aus es zur Darmstädter Hütte nicht mehr weit war. Vor der Darmstädter Hütte hatte ich noch einmal das Gefühl, in einer komplett anderen Welt zu sein. Zwischen dichtem Heidekrautbewuchs und jungen Bäumen, ragten Hunderte toter und Silber glänzender Baumstümpfe in den Himmel auf. Dazwischen lagen etliche wettergegerbte Baumgerippe. Total faszinierend!



Die restlichen 45 Minuten zum Ruhestein dachte ich ein wenig darüber nach, wie sehr wir moderne Menschen in der westlichen Zivilisation doch in Watte gepackt sind und welchen Stellenwert das Risiko oder der Umgang mit Risikosituationen für unsere persönliche Reife hat. Darüber kann man sicher lange interessante Pro und Contra Diskussionen führen.

Am Ruhestein erwarteten mich Antje und Cesco und nach knapp 28 km und ziemlich schmerzenden Füßen, war ich froh am Ende dieser Etappe, aber leider auch am Ende meiner viertägigen Tour angekommen zu sein. Seltsam, wie schnell dann nach der gefühlten Zeitlosigkeit plötzlich alles zu Ende war.


WESTWEG – Ein kleines Fazit


Ihr Lieben, das waren meine ersten vier Tage auf dem Westweg. Ich bedanke mich für das Lesen und die vielen Kommentare bei Facebook.

Die letzten der knapp 28 km taten wirklich weh und abends lag ich um 20:00 Uhr ziemlich platt im Bett. Vor der Tour hatte ich vor zwei Dingen großen Respekt: Knieschmerzen und Wildschweinbegegnungen in der Nacht. Beides trat nicht ein.

Was eintrat war das Gefühl, weit weg von allem und nah dran an mir selbst zu sein. Das war für mich wohl die wichtigste Erkenntnis aus den vier Tagen. Facebook, Corona, politische Diskussionen, etc. waren plötzlich nicht mehr wichtig. Wichtig war es, nachts einen wärmenden Schlafsack um mich herum zu haben, eine Antwort auf die Frage zu bekommen, wo sich der nächste Brunnen befindet und mit mir selbst vier Tage ohne Ablenkungen klar zu kommen. Mit sich selbst so intensiv in Kontakt zu sein ist spannend, lohnt sich und ich kann es nur jedem empfehlen! Natürlich ist die Natur mein Medium, dass mir sehr viel zurückgibt und in dem ich mich sehr aufgehoben fühle. Sicher gibt es auch andere Möglichkeiten mit sich selbst in Kontakt zu kommen und jeder hat da seinen eigenen Weg. Interessant fand ich auch die Begegnung mit den anderen Menschen und die Offenheit und Neugierde, mit der man auf sich zugegangen ist. Nicht nur unter den Westwegwanderern, sondern auch die Begegnungen in den Ortschaften, die immer doch auch von gegenseitigem Interesse und Hilfsbereitschaft geprägt waren. Das hat mir wirklich gut gefallen, war eine tolle Erfahrung und bereicherte mich. Auf der technischen Ebene gibt es natürlich auch einige Erkenntnisse. Das nächste Mal werde ich mein Rucksackgewicht mindestens zwei bis drei Kilo runterschrauben. Obwohl ich recht wenige Klamotten dabei hatte, werde ich da noch mehr sparen. Auch beim restlichen Equipment kann ich problemlos nochmal etwas ausdünnen, so dass ich auf den nächsten Abschnitten weniger Gewicht zu tragen habe. Wichtig ist noch - und das schrieb ich auch in mein Tourtagebuch -, dass wir immer für die Überraschung offen sein sollten, dass wir viel mehr schaffen können, als wir uns oftmals zutrauen oder uns andere einreden möchten! In diesem Sinne sitze ich gerade an der Planung für die nächsten Etappen und kann es kaum erwarten bis es losgeht. Ihr dürft gespannt sein, ich bin es auch. Bis dahin, lasst es euch gutgehen!



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