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  • Sven Scheffel

Sicherheit: Ein Plädoyer für die Paddelweste

September 2019. Gemeinsam mit zwei erfahrenen ACA Instructoren, stehen wir südlich von Freiburg an einem Seitenarm des Rheins. Direkt an einer Stelle, in der sich der Fluss durch eine künstlich angelegte und befahrbare Buhne verengt. Wir sind mitten in einem Sicherheits- und Rettungstraining. Einer der Instructoren wählte die Stelle aus, weil er einige Jahre zuvor genau dort einen Unfall hatte. Durch die Buhne verengt sich der Fluss und das Wasser schießt mit hohem Druck durch die verbleibende, ca. sieben Meter breite Öffnung. Direkt unterhalb liegt eine Senke und es entsteht ein mächtiger und beeindruckender Schwall. Ein Stückchen stromabwärts, gibt es auf der linken Seite ein Kehrwasser, vor dem ein Wirbel entsteht. Befährt man die Öffnung mit dem Kanu, führt einen die Stromzunge direkt an diesem vorbei. Beim Wasserstand zum Zeitpunkt unseres Trainings, war dieser Wirbel aber relativ harmlos. "Damals war der Pegelstand und der Wasserdruck deutlich höher", erzählte unser Instructor. Er erzählte von einer Kenterung genau an dieser Stelle. Er war für ca. 25 Minuten in diesem Wirbel gefangen. Sein Kanadier stand senkrecht im Wasser und wurde nur durch einen Auftriebskörper im Boot an der Oberfläche gehalten. Er selbst trug einen Trockenanzug und natürlich eine Paddelweste. Nur durch die Hilfe einer zweiten Paddlerin, die im Solokanadier mit dabei war und eine Rettungsleine warf, schaffte er es nach 25 Minuten dieser Situation zu entkommen.

Unsere Instructoren wollten, dass wir in diesem Kurs solche Gefahren visuell erkennen und lernen damit umzugehen. Einmal als verunfallte Paddler, aber auch als Retter.

Mein damaliger Übungspartner und ich paddelten als erstes Tandem in die Stromzunge, kanteten unser Boot falsch auf und prompt lagen wir im Wasser. Zu diesem Zeitpunkt eher ungeplant, da wir zunächst Kehrwasserausfahrten üben wollten. Nach einigen Sekunden befanden wir uns jedoch direkt in diesem Wirbel. Wir konnten uns zwar selbst heraus retten, aber unser Canadier steckte darin fest. Zu beobachten welche Kräfte hier wirkten, war wirklich beeindruckend.


Warum erzähle ich diese Geschichte? Weil ich erschreckenderweise immer wieder feststelle, dass doch viele Leute ohne Paddelweste auf dem Wasser unterwegs sind. Hätte unser Instructor damals keine Paddelweste getragen, wären ihm relativ schnell die Kräfte geschwunden und er wäre ertrunken.

Marc erzählte, dass sich durch ein kräftiges Hochwasser einige Zeit vor der Tour, die Felsformationen am Grund wohl sehr spontan veränderte. Er begab sich also auf den Fluss, in der Annahme er kenne das Gewässer gut.


Vorgestern schnappte ich mir meinen Canadier und paddelte für drei Stunden auf einem Altrheinarm. Unterwegs begegnete ich ungefähr 12 Booten. Nur ein einziger erwachsener Paddler trug eine Paddelweste. Waren Kinder in den Booten, trugen alle welche. Immerhin.

Ich paddelte an einem Kanu vorbei, in dem offensichtlich ein Großvater mit seinem Enkel saß. Das Kind trug eine Weste, der Großvater nicht. Ich fragte mich, was würde passieren, wenn die beiden nun kentern? Mit Kenterungen sollte man beim paddeln übrigens immer rechnen. Selbst mein Hund brachte uns in einem unaufmerksamen Moment schon zum kippen und wir lagen zu dritt im Wasser.

Im besten Fall wäre das Kind noch in seiner Komfortzone und würde zum Ufer schwimmen. Im schlimmsten Fall würde es Panik bekommen und sich an den Großvater klammern. Hätte der Großvater tatsächlich die Kraft das auszuhalten ohne Paddelweste? Wenn ja, wie lange? An dieser Stelle gehe ich davon aus, dass der Großvater unverletzt ist. Was aber, wenn er durch das kippende Kanu verletzt worden wäre? Nehmen wir an der Sülrand knallt ihm auf den Kopf und er ist bewusstlos oder er stürzt im 50 cm tiefen Wasser auf das sich verkantende Paddel und bricht sich eine Rippe? Gerade im Zahmwasser und an schönen sonnigen Tagen, scheinen die Gefahren weit weg zu sein. Dieser Schein trügt jedoch und viele Leute neigen zur Selbstüberschätzung.

Um noch einmal zum Rettungstraining zurück zu kommen. Nachdem wir einige Stunden trainiert hatten und gerade eine Pause machten, sahen wir flußaufwärts zwei Stand-Up-Paddlerinnen den Fluss herunter kommen. Beide ohne Westen. Nein, sie landeten nicht an um die Stelle zu scouten, sie hielten direkt auf den Durchbruch zu. Die einen würden an dieser Stelle vermutlich sagen: "Naiv und dumm." Ich nenne es jetzt einfach mal "unwissend und unerfahren". In unserer Gruppe griffen sich schon einige die Wurfsäcke und schnappten sich ein Paddel, um im Notfall schnell dort zu sein. Die beiden kamen problemlos durch und wurden dadurch vermutlich in der Haltung bestärkt, ist doch alles gut gegangen und halb so wild. Was mich zusätzlich veranlasste diesen Artikel zu schreiben war folgende Feststellung. In der vergangenen Woche sah ich einige Artikel in Online-Medien, in denen es um den Trend des SUP ging. Aufgemacht waren diese Artikel immer mit Fotos, auf denen Paddler zu sehen waren, die (natürlich) keine Paddelwesten trugen. Mein erster Gedanke war, das regt zur Nachahmung an und hat eine schlechte Vorbildfunktion. Wenigstens die Medien könnten doch Fotos einstellen, die Paddler mit Westen zeigen. Auch in den gängigen Paddel- und Kanugruppen bei Facebook, werden immer wieder Fotos von Touren gepostet, auf denen die Kanuten ohne Westen unterwegs sind. Sachliches darauf aufmerksam machen, wird oftmals kommentiert mit seltsamen Argumentationen oder abwertenden Sprüchen.


Warum sollte eine Paddeweste/Schwimmhilfe getragen werden?


  • In erster Linie hilft uns die Schwimmhilfe Kraft zu sparen: Die meisten Schwimmhilfen haben einen Auftrieb von 50 Newton (manchmal auch mehr). 50 N entsprechen ca. 5 kg. Fünf Kilogramm scheint auf den ersten Blick nicht viel, hilft uns aber, ohne aktive Schwimmbewegung im Wasser treiben zu können. Wir sparen wertvolle Kraft, bis ein möglicher Retter bei uns ist oder wir in einem großen See zum Ufer geschwommen sind, weil uns der Wind das Boot verblasen hat.

  • Die Schwimmhilfe dient als Aufprallschutz: Wir können im Wasser auf Felsen knallen, unser Kanu kippt beim Kentern auf uns oder wir werden von einem anderen Kanu gerammt, während wir im Wasser treiben. Es wird doch einiges an Energie abgefangen, was unter Umständen zu schweren Verletzungen führen würde. Letztes Jahr setzte ich bei einer Tour in relativ flachem Wasser einen stationären Bugziehschlag, verkantete das Paddel an einem kleinen Fels und rammte mir den Paddelgriff direkt unterhalb der Schulter in den Körper. Autsch, das tat richtig weh! Nehmen wir an, ich hätte keine Guideweste, sondern eine klassische Tourenweste getragen die mehr vom Körper abdeckt, der Schlag wäre deutlich stärker abgedämpft worden.

  • Die Paddelweste ist ein herovrragender Wärmeschutz: Selbst an warmen Tagen kann Wind dafür sorgen, dass wir auskühlen, wenn wir durch eine Kenterung nass geworden sind. Möglicherweise haben wir keine Ersatzkleidung dabei oder haben aktuell keine Gelegenheit die Kleidung zu wechseln. Die Paddelweste isoliert sehr gut und hält die Wärme im Oberkörper. Man kann sogar kalte Hände zwischendurch mal reinstecken und aufwärmen.

Wichtig wäre noch zu erwähnen, es nützt die beste Paddelweste oder Schwimmhilfe nichts, wenn sie nicht passt oder geöffnet getragen wird. Gerade im Gegenteil, zu große Schwimmhilfen stellen eine erhebliche Gefahr dar. Gerne schicke ich euch ein anschauliches Video dazu. Schaut beim Kauf das die Weste gut sitzt und unter dem Rippenbogen eng fixiert werden kann. Weitere Informationen die zum Kauf wichtig sind, findet ihr auf informativen Seiten im Internet, bei einem Fachhändler oder bei einem der vielen Kurse, die von Instructoren der American Canoe Association (ACA) oder anderen Verbänden angeboten werden. Gerne dürft ihr auch mich kontaktieren, solltet ihr Fragen haben.


Fazit:


Wer beim Paddeln auf das Wasser geht sollte ein Weste tragen! Das ist nicht uncool, sondern klug und zeigt dass ihr Ahnung habt. Die Weste dient der eigenen Sicherheit und auch der Sicherheit eurer Mitpaddler. Ohne Weste zu paddeln halte ich für grob fahrlässig und verantwortungslos! Verantwortungslos gegenüber euren Mitpaddlern, aber auch gegenüber möglichen Rettern, die ihre eigene Gesundheit riskieren, wenn sie euch in Notfallsituationen zur Hilfe kommen.


Begriffsklärung:

Im Gegensatz zum Segelsport, tragen wir beim Paddeln keine Rettungswesten, sondern Schwimmhilfen. Rettungswesten und Schwimmhilfen werden unter dem allgemeinen Begriff Schwimmwesten zusammengefasst. Schwimmhilfen sind nicht ohnmachtssicher, da sie keinen Kragen haben. Mit Schwimmhilfen ist es möglich zu schwimmen, was mit Rettungswesten wiederum schwierig ist. Im allgemeinen Sprachgebrauch ist für Schwimmhilfe auch der Begriff Paddelweste üblich. Im Englischen lesen wir oft den Begriff PFD (Personal Floating Device).


Literaturquellen:

  • "Mit allen Wassern gewaschen - Praxishandbuch für erlebnispädagogisches Handeln im und am Wasser" Josef Birzele, Oliver I.Hoffmann, Ziel Verlag, 2003

  • "Kanuhandbuch" Rainer Höh, Reise Know-How Verlag Peter Rump GmbH, 2018

  • "Kanu-Stechpaddeltechnik 1" Armin Burzlauer, DIKA-Verlag, 2013



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